“…sing nicht ihre Lieder.
Geh doch in die Oberstadt, machs wie deine Brüder!”
Advent, Advent, kein Lichtlein brennt …
Der heutige Tag beginnt durchwachsen, zumindest was das Wetter betrifft. Dennoch beschließe ich erst einmal den Atlantik zu besuchen. Auf dem Weg zum Wasser, halte ich erst mal ein Pläuschchen mit Etienne, unserem Nachbarn. Inzwischen habe ich mich ein wenig mit seinem Baby, einem jungen Hundewelpen angefreundet. Eine Mischung aus Shar Pei und Cão Fila de São Miguel. (Anm. von Torgit: Die neue deutsche Rechtschreibung überfordert mich schon wieder: Wie schreibt man denn Pläuschchen? Ach, das war schon in der alten … ? Schatz, schreib doch bitte kleiner Plausch. Danke.)
Beim Blick auf die Pfoten ist offensichtlich, was hier noch klein und kuschelig ist, wird sicherlich noch ein richtiger Bär. – Das Wasser ist unheimlich erfrischend. Auch hier am Wasser hat man inzwischen gewisse Routinen.
Schön, dass genauso wie zu Hause, sorry wir sind ja zu Hause, unsere tägliche Kaffee Zeremonie dazugehört. Danach die Solartasche aufstellen, Tetris spielen, sprich Ordnung im Bulli schaffen …
Während des Kaffees schaue ich raus und auf den Camper unserer neuen Nachbarn. Sie Österreicherin, er Schweizer. Ihr Caravan hat eine Auffälligkeit, die auch die Hunde zu interessieren scheint, eine Katzenklappe. Erst nachts, wenn die Hunde schlafen, tigert der Stubenkater durch die Gegend.
Da es anfängt zu regnen, nutzen wir die Zeit um ein wenig zu lesen. – Sobald das Wetter aufklart zieht Torgit los an den Strand. Einfach mal spazieren gehen, nein, das geht doch nicht. Man(n), Frau muss ja was tun. Torgit versucht erst einmal ihre kreative Phase auszuleben. Stellt euch vor, wie so ein durch und durch rationales, strukturiertes Menschenkind kreativ sein möchte. So ganz ohne Plus und Minus, ohne Rechenschieber, ohne Zirkel, ohne Parallelen, rechte Winkel und so weiter. Dafür jedoch mit jeder Menge Selbstkritik im Gepäck. Die Frühphase, Zeichnen am Strand im Sand, wurde zwar fotografiert, soll jedoch nicht dem Publikum freigegeben werden. Auch die Spätphase, zerbrechen einer Muschel zwecks Liebeserklärung an den Gatten, wurde dann verworfen. (Anm. von Torgit: Hatte ich Euch eigentlich schon mal von meinem Anfänger-Mal- und Zeichenkurs erzählt? Wie mein Zeichenlehrer guckte, als ich das Lineal auspackte? 😉 )
Während Torgit am Strand über Zweisamkeit nachdenkt, werde ich ein wenig untreu. Keine Ahnung wie es passierte, doch plötzlich hatte ich “Baby” im Bett. – Gottseidank hat Torgit das nicht gesehen. Hunde gehören nicht ins Bett. – Schade eigentlich! – Doch dafür kann ich drei von Torgit’s Kunstwerken, vor der Zerstörung, zumindest digital, retten. (Anm. von Torgit: SCHAAAHAAATZ, was macht der Hund in unserem Bett???)
Wieder erwischt uns, oder soll ich sagen Torgit, eine Schauer. Diese kommt klitschnass am Bulli an. Gerade wenn es nass ist, Dinge getrocknet werden müssen, wird es schnell eng im Bulli. Unsere defekte Rückbank trägt ihren Teil dazu bei. Deshalb beschließe ich in der nächsten Trockenphase Anja und Michael zu besuchen.
Mit den beiden bin ich schon vor ein paar Tagen ins Gespräch gekommen. Seit 1991 ein Paar, sind Sie bereits seit 1992 immer mal wieder über längere Zeiträume auf Reise. Bulgarien, Griechenland, Rumänien und die Türkei standen auf ihrer Liste.
Danach waren die beiden immer wieder alleine auf Tour doch erst 2008 fällten sie die Entscheidung endgültig alles zu verkaufen und nur noch auf der Straße zu leben. Inzwischen sind sie seit neun Jahren in einer alten Sparkasse unterwegs. – Ja, ihr habt richtig gehört, die beiden haben ein altes Kassenfahrzeug für ihre Zwecke umgebaut. Und zwar so richtig inklusive Entfernung Schalterraum, Panzerung und so weiter. Wer kann sich überhaupt noch an solche Gefährte erinnern? Was aus dem Projekt über die Jahre geworden ist, mutet auf den ersten Blick etwas skurril an. Ich sag nur Fahrradständer auf der Motorhaube, oder Befestigung für Biertisch am Heck, Garten im Ersatzrad…
Sicherlich gibt es kaum einen Deutschen, der den Satz „Wenn’s um Geld geht, …“ nicht richtig beenden kann. – Gibt es einen bekannteren Werbeslogan der Finanzbranche? – Doch in dieser Sparkasse geht es weder um Geld, Gold oder Aktien, sondern um wahre Werte, Glück und Genuss! -Wenn das der Sparkassenverband wüsste?
Bei den beiden habe ich auch das erste mal den Begriff WAGENVOLK gehört, beziehungsweise gelesen.
So wurde der alte Daimler um ein altes Volkswagen Zeichen ergänzt. Nur das aus VOLKsWAGEN WAGENVOLK geworden ist. Das S muss verloren gegangen sein. Ich finde diesen Ausdruck unheimlich sympathisch.
Anja und Michael haben es sich über die Jahre in ihrem Gefährt gemütlich gemacht. Mir gefällt vor allem wie persönlich ihr Fahrzeug anmutet. So verfügt die Sparkasse heute über eine voll funktionstüchtige Küche, einen Kaminofen, eine Bibliothek und so weiter. Klar, dieses Auto polarisiert.
“…So sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor.
Er schlich aber immer wieder durch das Gartentor – und in die Kaninchenställe, wo sie Sechsundsechzig spielten – um Tabak und Rattenfelle –
Mädchen unter Röcke schielten – wo auf alten Bretterkisten
Katzen in der Sonne dösten – wo man, wenn der Regen rauschte,
Engelbert, dem Blöden, lauschte, der auf einen Haarkamm biß, Rattenfängerlieder blies…”
“…Sie trieben ihn in eine Schule in der Oberstadt,
kämmten ihm die Haare und die krause Sprache glatt…”
Anja berichtet, dass sie von der Joghurtbecher Fraktion skeptisch betrachtet werden. Schmuddelkinder halt. Ich muss bei diesem Ausdruck lachen und beginne spontan den Refrain des gleichnamigen Liedes zu singen. Sofort ist klar, die beiden kennen und mögen das Lied. Mir wird bewusst, dass ich es fast vergessen hatte, sowie Sparkassen Fahrzeuge. Dabei habe ich es einmal geliebt. Muss bei Gelegenheit dran denken mir ein Rattenfell zu besorgen.
“…Aus Rache ist er reich geworden. In der Oberstadt
hat er sich ein Haus gebaut. Nahm jeden Tag ein Bad…”
Doch wir teilen nicht nur die Vorliebe für Schmuddelkinder, wir lesen auch die gleichen Bücher. Hier entdecke ich zum Beispiel das Buch „noch mehr Fish“. Dies ist der zweite Band einer dreiteiligen Buch Serie. Den ersten Band, bekam ich vor vielen Jahren, von meiner guten Freundin Susanne, an die Hand gegeben. Band Nummer eins “Fisch, ein ungewöhnliches Motivations Buch”, ist genau das, was der Titel beschreibt. Motivation wird auf unglaubliche Art und Weise transportiert.
“Liebte hochgestellte Frauen,
schnelle Wagen und Musik,
blond und laut und honigdick.”
Hierbei wird die Philosophie des Pike Place Fish Market gespiegelt. Simple Spielregeln für glückliche Menschen am Arbeitsplatz, oder sollte ich sagen Spielplatz? John Christensen, der Autor, schuf diese Philosophie, um eine “Teamkultur” zu erschaffen. Der Pike Place Fischmarkt in Seattle ist inzwischen weltbekannt. Einfache Fisch-Verkäufer wurden zu Stars.
Dabei sind die “Regeln” so einfach und jeder, wirklich jeder kann sie bei seiner täglichen Arbeit anwenden. Was in Seattle beim Fischverkauf wie eine Show wirkt, ist Teil des Ganzen. Dort fliegen Fische durch die Luft, es werden Späße gemacht, Kunden werden einbezogen. Aus einer Routinearbeit und knochenhartem Job wird Spiel und Spaß. – Dabei gilt es lediglich die folgenden vier Grundsätze zu beherzigen:
1. Wähle Deine Einstellung
Wir alle haben die freie Wahl, wir können entscheiden, nicht immer ob, jedoch mit welcher Einstellung wir unsere Arbeit machen. Tobias Beck würde sagen, wie Bewohner, sprich jammernd und klagend, oder man mach das Beste daraus. Selbst wenn wir die Umstände nicht ändern können, haben wir immer noch die Freiheit die Einstellung zu ändern. – „Love it, leave it or change it.“ Und gerade hier draußen zeigt sich mal wie einfach “Change it” sein kann.
2. Spiel und Spaß!
Auch ein Arbeitsplatz kann ein Spielplatz sein. Wir sollten nur mal wieder unser inneres Kind wecken. Den kleinen Mann, der stundenlang gespielt hat, den man nie motivieren musste. Gib Dir selbst die Erlaubnis, auch bei der Arbeit Spiel und Spaß zu haben. Du hast nur einen kleinen Gestaltungsspielraum, dann fange halt im Kleinen an. Bringe Pflanzen mit, häng Bilder auf, fang an zu spielen. Das ist lächerlich? – Gut so!
3. Anderen eine Freude bereiten
Wenn Du anderen Freude bereitest, wirst Du selbst als der Schenkende Freude empfinden. Reich ist nicht der, der viel hat, sondern der, der viel gibt.
Mach Deinen Kollegen, Mitarbeitern, Führungskräften und Kunden eine Freude. Halte gezielt nach solchen Möglichkeiten Ausschau. Dadurch wirst Du langfristig die Arbeitsatmosphäre enorm verbessern und selbst den ganzen Tag über positive Gefühle haben.
4. Präsent sein!
Lebe im Hier und Jetzt, lebe in Präsenz, (oder Präsens? Ach, egal) sei präsent. – Sei ganz dabei, egal ob beim Telefonieren, Lesen oder bei was auch immer. Nicht alles gleichzeitig zu machen, ist schon reiner Selbstschutz, denn es beugt Burn-Out vor.
Auch heute verquatsche ich mich schnell mit Anja und Michal. So bringe ich auch wieder ein Zitat für uns nach Hause. Reise: Die Fantasie geht, die Erfahrung kommt.
Doch der Anlass meines heutigen Besuches, war eigentlich Michael zu bitten, sich mit mir einmal unserer Rückbank zu widmen. Hat er doch den Spitznamen MacGyver. Und diesen trägt er berechtigt. Gemeinsam schaffen wir es, den Bolzen im Scharnier zu lösen und die Rückbank aufzurichten. Danach lerne ich, wie man eine Verkleidung fachmännisch abnimmt. Mehr und mehr nähern wir uns gemeinsam der Fehlerquelle. Am Ende ist es ein Draht, der aus einem Scharnier gesprungen ist. Die Rückbank ist nicht nur gangbar gemacht, sondern funktioniert wieder tadellos.
In der Zwischenzeit hat sich ein kleiner Pulk von Zuschauern gebildet, die fassungslos unser Gepäck begutachten. Dem Ein oder Anderen scheint sich nicht zu erschließen, wie dies alles in einem kleinen Bulli Platz findet. Doch wir verstehen unser Tetris.
Als Nächstes geht es noch mal an die Rückleuchte. Hier finden wir zwar keine abschließende Lösung, können jedoch die Fehlerquelle eingrenzen. So habe ich zumindest eine gute Grundlage, um mit dem Freundlichen, gemeint ist der VW Spezialist, in die nächste Diskussion einzusteigen.
Zwischendurch hab ich auch noch mal kurz den Fahrersitz ausgebaut, um unser Anschlusskabel für die Solartasche anders zu verlegen, habe gelernt wie ich die Sicherung an den einzelnen Sicherungskästen kontrolliere, dass wir haben vier Sicherungskästen haben und vieles mehr. – Während dessen ist es dunkel geworden. Die letzten Arbeiten werden im Licht der Taschenlampe fertig gestellt.
“Danke Michael, ohne dich wäre das sicher nichts geworden!”
Torgit hat zwischendurch eine Suppe gekocht. Da wir durch und durch gefroren sind, schließen wir die Schotten und schmeißen die Standheizung an. Die Suppe, es ist eine Süßkartoffel Suppe, mit Möhren, sowie angeschwitzten Zwiebeln, Curry- und Paprikapaste, Kokosmilch, Ingwer, Gemüsebrühe, und einer Prise Salz, Kurkuma, Chili, sowie frisch gemahlenem Pfeffer. – Schmeckt nicht nur wundervoll sweet and spicy, sie macht vor allem wieder warm.
Etienne hat in der Zwischenzeit wieder das Lagerfeuer angefeuert. – So haben wir zum dritten Advent zwar kein Kerzchen, doch so ein Feuer hat doch auch was. – Er steht dort mit zwei Schotten, welche neu angereist sind. Alle drei sind dick eingemuckelt. Ich stelle mich in kurzer Hose und T-Shirt daneben. Hier direkt am Feuer ist es wunderbar warm, um nicht zu sagen heiß. Lachend erzählt Etienne, dass ich ja schon morgens wahnsinniger Weise, im Atlantik baden würde. Inzwischen hat sich das rumgesprochen. Alle halten mich für verrückt. – Alle? Nein, meine Mutter sicherlich nicht. War sie doch in jedem Jahr die Erste und die Letzte, die immer in die Talsperren sprang. Womit klar ist, woher das stammt. – Noch heute mit über 80, duscht sie bis zur Frostgrenze draußen auf der Terrasse.
Als ich später in der Koje liege, summe ich noch einmal still vor mich her…
“…Seine Leiche fand man, die im Rattenteich rumschwamm.
Drumherum die Schmuddelkinder bliesen auf dem Kamm:
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern …”
Erkenntnis des Tages: Zum zweiten Mal hat mir die Konstruktion der VW Schlafcouch die Entscheidung für SpaceCamper bestätigt. VW sei Dank!
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