Stell dir vor, du betrittst unser appartamento in Palermo und siehst nicht nur ein Plakat der Targa Florio, sondern eine ganze Sammlung von Originalfotos dieses legendären Autorennens. Ein Hauch von Geschichte schwebt in der Luft. Ich gestehe, das Plakat ist nur ein Faksimile. Denn die Originalplakate sind heiß begehrt und werden zu mehr als stolzen Preisen gehandelt.

Aber warum? Was macht dieses Rennen so besonders? Und warum ist es unter Porsche- und Ferrari-Fans geradezu legendär?

Hinweisschild auf die Targa Florio
planBwagen vor dem Schriftzug 'Ferrari' auf einer Mauer in Collesano
schmale Gebirgsstraße der Madonie vor blauem Himmel

Lass mich dir jemanden vorstellen, der uns all das haargenau hätte erklären können: Onkel Mario, der Autoverrückte unserer Familie. Dieser sizilianische Draufgänger aus Palermo sprach über sein Sicilia, was er wie Sischilia aussprach.  Er erzählte von der Targa Florio so lebendig, dass man den Duft von Benzin und Reifenabrieb förmlich in der Nase hatte.

Mit seiner blumigen Sprache, seiner lauten Stimme und seinen theatralischen Gesten konnte er eine Geschichte erzählen, wie kein anderer. Er brachte sogar im Deutschen eine eigene Melodie zum Klingen, ganz im Stil eines echten Italieners, scusi Siciliano.

Onkel Mario war halt ein waschechter Sizilianer, mit stapelweise alten Ausgaben der Auto Motor Sport. Ab und zu fand sich zwischen diesen auch eine italienische Motor Sport Zeitung.

Neben meinem großen Bruder Dirk, der mich zu meinem ersten Autorennen mitnahm, und meinem älteren Cousin Olaf, der mich mit seinen Schrauber-Kumpel und seinem VW Scirocco I ziemlich beeindruckte, war es mein Onkel Mario, der mir beibrachte, was man im Volksmund unter „Benzin reden“ versteht.

Die Florios

Kein Wunder also, dass Torgit behauptet, ich hätte Benzin im Blut. Die Geschichten meines Onkels gerieten fast schon in Vergessenheit – zumindest bis wir auf unserer Sizilientour auf das erste Straßenschild der Targa Florio stießen.

Wie war das nochmal? Wir begannen nachzulesen und entdeckten eine Welt voller spannender Fakten über dieses Langstreckenrennen, Straßenrennen und Bergrennen. Ja, ihr habt richtig gehört, die Targa Florio ist drei in Eins.  So entdeckten wir auch seine Verbindung zu Palermo, zum Centro Storico und zum Ballaro. Wir erfuhren, was es mit dem Wort “Targa” auf sich hat, welches man wohl am ehesten mit Typenschild übersetzt.

Wir stießen zum ersten Mal auf den Namen Florio. Die Florios sind untrennbar mit Palermo verbunden – eine Familie wie keine andere. Ursprünglich aus Kalabrien stammend, könnten wir stundenlang über ihre Geschichten erzählen. Aber das heben wir uns für später auf.

Vincenzo Florio

Erwähnen wollen wir hier den Florio, der die geniale Idee hatte, dieses unvergleichliche Rennen ins Leben zu rufen. Es war Vincenzo Florio, ein junger Mann von gerade einmal 23 Jahren. Geboren 1883, verstorben 1959. Ich erwähne diese Daten, da der Name Vincenzo in der Familie Florio häufiger vorkommt. Er ist der autoverrückte Spross dieser reichsten Adelsfamilien Italiens, die nicht nur Palermo, sondern das ganze Land geprägt haben. Die Straßen und großen Ländereien der Madonie gehörten dieser Familie, und Vincenzo Florio nutzte sie, um seine Vision einer Rennstrecke zu verwirklichen.

Rennwagen Mosaik in Collesano
planBwagen vor einer Bergspitze, die aus dem Neben ragt
Straßenschild mit der Strecke der Targa Florio

Die Targa Florio hat im Laufe der Jahre einige berühmte Rennfahrer hervorgebracht, die ebenfalls aus Palermo stammen und ihre Heimatstadt stolz repräsentierten. Unter ihnen ragt ein Name besonders heraus. 

 

Conte Federico / Federico Gravina

Conte Federico oder auch Federico Gravina war ebenfalls eine bedeutende Persönlichkeit, die eng mit Palermo, dem Motorsport und insbesondere der Targa Florio verbunden ist. Als Adliger und Sportliebhaber spielte er ebenfalls eine entscheidende Rolle in der Geschichte des Rennens.

Federico Gravina wurde 1875 in Palermo geboren und wuchs in einer wohlhabenden Familie auf. Neben Vincenzo Florio entwickelte er früh seine Leidenschaft für den Motorsport und war fasziniert von der aufstrebenden Automobilindustrie. Die beiden erkannten das Potenzial des Rennsports und waren gemeinsam entschlossen, Palermo und Sizilien als Austragungsort für ein herausragendes Rennen zu etablieren.

Im Jahr 1906 gründete Federico Gravina gemeinsam mit Vincenzo Florio die Targa Florio. Dieses legendäre Straßenrennen war von Anfang an ein herausforderndes und prestigeträchtiges Ereignis, das die besten Fahrer und Automarken anzog. Gravina und Florio arbeiteten eng zusammen, um die Strecke zu planen und Sponsoren zu gewinnen, um das Rennen zu finanzieren.

Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio
Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio

Durch das Rennen wurden Palermo und Sizilien zu einem Anziehungspunkt für Motorsportbegeisterte aus aller Welt, und die Wirtschaft profitierte von den damit verbundenen Aktivitäten und dem Tourismus.

Federico Gravina war nicht nur Mitbegründer der Targa Florio, sondern auch ein begeisterter Fahrer. Er selbst nahm an mehreren Rennen teil und trug dazu bei, die Popularität der Targa Florio weiter zu steigern. Seine Leidenschaft und sein Einsatz für den Rennsport waren unverkennbar und machten ihn zu einer Ikone in der Welt des Motorsports.

Sein Erbe lebt in den Herzen von Rennsportfans und Sizilienliebhabern weiter, und die Targa Florio wird immer eng mit seinem Namen und seinem Beitrag zur Motorsportgeschichte verbunden sein. Denjenigen, die Palermo besuchen, empfehlen wir einen Besuch des Palazzo Conte Federico, welcher sich in direkter Nähe der Kathedrale befindet.

Die Nachfahren dieses legendären Rennfahrers, gewähren Einblick in den Palazzo, in dessen Eingang noch sein alter Rennwagen steht. Seine Söhne führen höchstpersönlich durch diese Gemäuer, welche weitere spannende Einblicke liefern. Doch hierzu wollen wir einmal separat berichten.

Nino Vaccarella

“Das Rennen verlangt nicht nur physische Stärke, sondern auch mentale Ausdauer. Man muss bereit sein, ans Limit zu gehen und über seine eigenen Grenzen hinauszugehen.” – Nino Vaccarella

Nino Vaccarella, geboren am 4. März 1933 in Palermo, ist ebenfalls eine wahre Legende der Targa Florio. Er begann seine Rennkarriere in den 1950er Jahren und feierte seine größten Erfolge auf den kurvenreichen Straßen Siziliens. Vaccarella gewann das Rennen insgesamt drei Mal, nämlich in den Jahren 1965, 1971 und 1975. Seine Fähigkeiten als Fahrer und sein bemerkenswertes Geschick auf dem anspruchsvollen Kurs machten ihn zu einem der beliebtesten und erfolgreichsten Rennfahrer der Targa Florio.

Giovanni “Nanni” Galli

Neben Nino Vaccarella gab es auch andere talentierte Rennfahrer aus Palermo, die bei der Targa Florio ihr Können unter Beweis stellten. Einer von ihnen ist Giovanni “Nanni” Galli. Geboren am 23. Oktober 1940 in Palermo, erzielte Galli in den 1960er und 1970er Jahren einige bemerkenswerte Ergebnisse bei der Targa Florio. Er fuhr für renommierte Teams wie Alfa Romeo und Ferrari und beeindruckte mit seinem Fahrstil und seiner Entschlossenheit.

Diese Rennfahrer aus Palermo haben nicht nur die Herzen der Fans erobert, sondern auch dazu beigetragen, den Ruhm der Targa Florio in ihrer Heimatstadt und darüber hinaus zu verbreiten. Ihr Erfolg und ihre Leidenschaft für den Rennsport sind ein Teil der reichen Geschichte und Tradition dieses einzigartigen Straßenrennens.

Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio
Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio

Das Rennen

Mittlerweile wissen wir, dass die Targa Florio mehr ist als nur ein Straßenrennen. Es ist DAS Straßenrennen. Manche behaupten sogar, es sei das erste Autorennen der Geschichte. Aber die Franzosen waren den Sizilianern weit zuvorgekommen und luden bereits 1894 zum ersten internationalen Autorennen von Paris in die nordfranzösische Stadt Rouen ein. 126 Kilometer, von modernen Benzin- und Gasmotoren bis hin zu Dampfmaschinen und sogar Elektroautos war alles dabei. Lang lebe der Fortschritt!

Auch wenn es nicht das erste Bergrennen war (dieses fand am 31. Januar 1897 von Marseille nach Nizza statt), ist eines sicher: Am 6. Mai 1906 um 6:10 Uhr begann die erste Targa Florio. Das erste Rennen in Le Mans fand erst Ende Juni desselben Jahres statt. Da haben die Sizilianer doch glatt die Nase vorn. In der Welt des Motorsports gibt es wenige Events, die Geschichte schrieben und bis heute faszinieren. Die Targa Florio gehört dazu.

“Die Targa Florio ist ein Kampf gegen die Zeit, gegen die Natur und gegen sich selbst. Es ist ein Rennen, das dich bis an deine Grenzen bringt und dich gleichzeitig mit einem unglaublichen Gefühl der Erfüllung belohnt.” – Giovanni Galli

Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio
Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio

Der Streckenverlauf

 

Die Targa Florio war nicht nur ein Wettstreit zwischen Geschwindigkeit und Ausdauer. Es war ein wahrer Tanz mit den Kurven. Der Rundkurs “Grande circuito delle Madonie” erstreckte sich über 148 Kilometer, durch die Madonien. Diesen galt es dreimal zu umrunden. Und glaubt mir, diese Strecke hatte es in sich! Mit über 900 Kurven, wobei einige Quellen sogar von mehr als 1.000 Kurven sprechen und herausfordernden Steigungen, war sie ein Paradies für Rennfahrer, die ihre Fähigkeiten auf die Probe stellen wollten.

Denn das Rennen war bekannt für Höhenunterschiede, von bis zu 1.000 Metern auf der Strecke. Die Straßen führten durch die malerischen Hügel und charmanten Bergdörfer der sogenannten Madonien, einer Region, die atemberaubende Landschaften und einzigartige Kulissen bot.

Doch vor allem sollte man sich bewusst machen, dass diese Rennstrecke im Ursprung nichts anderes war, als herkömmliche Wege und Straßen, welche die einzelnen Bergdörfer miteinander verbanden. Somit entweder gestampfter Lehmboden, nur teilweise geschottert oder gepflastert und erst später geteert. Erst kurz vor dem Rennen wurde die Bevölkerung dazu aufgerufen ihre Kinder, Karren, Pferde, Esel, Schweine und was sonst so rumlag von den Wegen zu entfernen. Absperrungen, Leitplanken, Strohballen usw. gab es in den ersten Jahren nicht. 

Doch dafür jede Menge Schaulustige, die auf den Hängen und in den Kurven standen um ihren Favoriten hinterher zu laufen.

 

Targa Florio 1906 bis 1940

Die Jahre von 1906 bis 1940 brachten uns nicht nur die spektakulären Momente und die atemberaubende Schönheit der Targa Florio, sondern auch unvergessliche Fahrer, die zu wahren Legenden des Rennsports wurden. Diese mutigen Männer stiegen in ihre Boliden und wagten sich in ein Abenteuer voller Risiken und Herausforderungen.

Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio
Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio

Tazio Nuvolari

Einer der bekanntesten Fahrer dieser Zeit war der charismatische Tazio Nuvolari, der mit seiner beeindruckenden Fahrweise und seinem furchtlosen Auftreten die Herzen der Zuschauer eroberte. Er war ein wahrer König der Straßen und ein Meister des Lenkrads. Sein Zitat

“Wenn du denkst, dass du alles unter Kontrolle hast, bist du nicht schnell genug” spiegelt perfekt die Faszination und den Nervenkitzel des Rennsports wider.

Mercedes Benz

Der erste Deutsche der die Targa Florio gewann war Christian Werner. Am 27. April 1924 holte er mit seinem Mercedes Tipo sowohl den Pokal der Targa Florio als auch den der Coppa Florio.  

Bugatti

Aber es waren nicht nur die Fahrer, die diese Ära prägten, sondern auch die Marken der Siegerfahrzeuge. Bugatti dominierte das Rennen von 1925 bis 1929 und gewann fünf Mal in Folge. Mit ihrer Eleganz, ihrem Stil und ihrer unvergleichlichen Leistung eroberten die Bugattis die Straßen Siziliens und wurden zur Ikone der Targa Florio.

Alfa Romeo

Doch auch Alfa Romeo hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck in der Geschichte des Rennens. Von 1930 bis 1935 gewannen sie das Rennen sechs Mal hintereinander und setzten damit einen neuen Maßstab für Erfolg und Dominanz. Ihr unvergleichlicher Esprit und ihre unermüdliche Hingabe zum Motorsport machten sie zur unangefochtenen Königin der Targa Florio.

Maserati

Am 23. Mai 1940, dem vorläufigen Ende der Targa Florio, gewann Luigi „Gigi“ Villoresi am Steuer des Tipo 4CL das prestigeträchtige Rennen. Für Maserati war dies der vierte Sieg in Folge. Zum 80. Jahrestag dieses historischen Siegs, kehrte Maserati mit einem Prototypen des MC20 nach Sizilien zurück. Allein schon daran erkennt man, welche Rolle die Targa Florio immer noch bei solch renommierten Rennställen und Sportwagenbauern spielte und immer noch spielt.

Enzo Ferrari

Diesen Namen kann man sicherlich unverblümt als Rennsportikone bezeichnen. Und es war die Targa Florio, die im Leben des Ferrari Gründers eine entscheidende Rolle einnehmen sollte. Zwischen 1919 und 1923 nahm der junge Enzo insgesamt fünfmal als Fahrer teil. Nachdem er 1920 den zweiten Platz gewann, wurde Enzo Ferrari Chefwerksfahrer der Alfa-Crew. Doch auch im weiteren Leben Ferraris wird die Targa Florio noch eine große Rolle spielen. Dann jedoch unter dem Namen Scuderia Ferrari „Rennstall Ferrari“. Doch davon wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt berichten.

Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio
Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio

Diese Siege waren jedoch nicht nur das Ergebnis von technischer Überlegenheit, sondern auch von Mut, Können und dem unerschütterlichen Willen, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen. Die Fahrer und ihre Teams waren bereit, bis an ihre Grenzen zu gehen, um den Ruhm des Sieges zu erlangen.

Aber die Targa Florio war nicht nur ein Rennen, sondern auch ein Schauplatz für witzige Anekdoten und unterhaltsame Geschichten. Ob es nun die Fahrer waren, die ihre Gegner mit cleveren Überholmanövern überraschten, oder die witzigen Kommentare der Kommentatoren – es gab immer etwas zu lachen und zu staunen.

Die Jahre von 1906 bis 1940 waren eine Zeit der Helden, der Marken und der unvergesslichen Siege. Sie waren geprägt von Risiken, Leidenschaft und einem unerschütterlichen Glauben an den Motorsport. Die Targa Florio wurde zur ultimativen Prüfung für Fahrer und Maschinen und zum Symbol für den unstillbaren Durst nach Geschwindigkeit und Adrenalin.

Targa Florio 1948 bis 1977

Bleibt gespannt auf den nächsten Teil, in dem wir die Geschichte der Targa Florio in den Jahren nach 1940 bis 1977 erkunden. Wir berichten auch, was danach aus der Targa Florio wurde, und weshalb sie auch heute noch eine große Rolle für Sizilien und die Automobilgeschichte spielt. Und eines kann ich schon mal versprechen: Langsamer wird es nicht.

Targa Florio, Langstreckenrennen in Sizilien, schaffen von Vincenzo Florio
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